Veranstaltung: | Jahreshauptversammlung 2021 |
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Tagesordnungspunkt: | 5. Anträge |
Antragsteller*in: | Maik Kristen (Ortsbeirat Suchsdorf) |
Status: | Abgelehnt |
Eingereicht: | 28.04.2021, 12:19 |
A9: Niedriginzidenz-Strategie durchsetzen
Antragstext
Bündnis90/Die Grünen Kiel setzt sich dafür ein, dass in Kiel eine
Niedriginzidenzstrategie zur Bekämpfung der Covid19-Pandemie angestrebt wird und
orientiert sich dazu an der NoCovid Öffnungsstrategie und den RKI ControlCovid
Vorgaben.
Insbesondere heißt dies:
- Es wird als gesellschaftliches Ziel das Erreichen von einer 7-Tage-Inzidenz
von 10 ausgegeben und angestrebt, um Kiel zu einer "Grünen Zone" zu machen. Dazu
wird sich an dem umfassenden Papier von der NoCovid-Gruppe (www.nocovid-
europe.eu) orientiert.
- Es wird darauf hingewirkt, dass die Nachbarkreise und das Land ebenfalls eine
Niedriginzidenzstrategie umsetzen.
- Alle Fälle können nachverfolgt werden, es wird auch verfolgt, von wo ein Fall
kommt, um Superspreader zu erkennen.
- Konsequentes Testen und Isolieren von neuen Fällen.
- Hygienemaßnahmen werden hochgefahren, Maskenpflicht in Büros und allen
Arbeitsstätten, wenn die Homeoffice-Pflicht nicht möglich ist.
- Ab einer Inzidenz von 35 und 50 wird das gesellschaftliche Leben wieder
heruntergefahren, bis alle Fälle nachverfolgt sind.
- Öffnungen finden erst statt, wenn die Inzidenz nachhaltig gesenkt wurde und
der R-Wert unter eins liegt, um einen "Jojo-Lockdown" zu vermeiden.
- Informationskampagnen werden verstärkt, vor allem über Hygienemaßnahmen und
der Verbreitung des Virus, hier gerade die Aereosolverbreitung.
Begründung
Die Corona-Pandemie ist ein komplexes Geschehen. Viele Menschen sind müde und erschöpft von den halbherzigen Maßnahmen, die zu einem langanhaltenden Lockdown ohne echte Perspektive geführt haben. Der NoCovid Ansatz bietet einen wissenschaftlich basierten Ansatz aus dieser Situation und der Pandemie allgemein hinauszufinden. Denn auch eine Inzidenz zwischen 50 - 100, wie sie in Schleswig-Holstein und Kiel momentan liegt, birgt keine Sicherheit, dass die Fallzahlen steigen und verhindern so einen vorausschauenden Plan von Familien und Wirtschaftstreibenden. Dies gilt es zu beenden, um weitern finanziellen Schaden und vor allem auch persönliches Leid abzuwenden. Es gilt, so viele Todesfälle und lang anhaltende Krankheitsfolgen bei Kindern und Erwachsenden (PIMS bzw. LongCovid-Syndrom) zu vermeiden, bis die Bevölkerung geimpft werden konnte. Verschiedene Kreis- und Landesverbände haben sich ebenso für die Strategie ausgesprochen, genauso wie Menschen aus der Bundestagsfraktion.
Die Pandemie ist nicht nur Gesundheitskrise, sondern sie wirkt sich zeitgleich in unterschiedlichen Intensitäten auf alle Sektoren der Gesellschaft aus. Die Auswirkungen und Effekte betreffen ihrerseits weitere gesellschaftliche Räume, die einer eigenen Handlungs- und Aktionslogik unterliegen. Beispielsweise die Auswirkung unklarer Informationen über die Wirksamkeit von Masken oder Corona-Tests oder die Herausforderung, sich hochkomplexe und alle zwei Wochen ändernde Corona-Regelungen anzueignen. Unter Berücksichtigung der besonderen Eigenschaften der Corona-Pandemie als ein dynamisches Geschehen und auf Grund der Erfahrungen mit dem Verlauf der Pandemie in Deutschland sowie im internationalen Vergleich ist es daher notwendig, die gesamte Gesellschaft und die Wiederherstellung der bürgerlichen Freiheiten bei gleichzeitigem Gesundheitsschutz in das Zentrum zu stellen. Denn nur eine Pandemiestrategie, die mit ganzheitlichen Denkansätzen, Methoden und Lösungsvorschlägen auf eine nachhaltige Öffnung aller Sektoren der Gesellschaft abzielt, ist eine Strategie, die den komplexen Anforderungen der Pandemie gerecht werden, unser Wertesystem bewahren und die Beschränkungen der Grundrechte beenden kann. Die seit März 2020 in Deutschland eingesetzte Mitigationsstrategie hat zu wiederkehrenden, immer längeren Lockdowns (Jo-Jo-Effekt) und zugleich zu keinen nennenswerten Erfolgen geführt:
Deutschland steuert in die 3. Welle und die Grundrechtsbeschränkungen dauern endlos an. Im Sommer bestand bereits eine deutschlandweite niedrige Inzidenz, dies ist dieses Jahr noch nicht abzusehen. Insbesondere bie den Schüler:innen und jungen Erwachsenen steigen die Fallzahlen und das Virus wird zwischen Arbeit, Zuhause und Schule verbreitet. Außerdem verbreiten sich und entstehen immer mehr Mutationen, was durch ein intensives Infektionsgeschehen begünstigt wird. Je mehr neue Varianten sich bilden, bevor die Bevölkerung immunisiert ist, desto weiter verlängert sich die Pandemie zeitlich nach hinten. Weitere Entwicklungen sind nicht abzusehen, aber die Gefahr von Rückschlägen ist groß. Nach 12 Monaten stößt der bisherige Umgang mit der Pandemie auf größer werdendes Unverständnis. Die aktuelle COSMO-Studie der Universität Erfurt sieht „sinkendes Vertrauen trotz Lockerungen, einen relativ großen Anteil derer, die die Maßnahmen für zu schwach halten, verbreitete Gesundheitssorgen, steigende Pandemiemüdigkeit und die Wahrnehmung, dass die dritte Welle bevorsteht.“ Das Vertrauen in die Bundesregierung hat mit 30% einen aktuellen Tiefstand erreicht. Und trotzdem, und das ist besonders hervorzuheben, ist eine Zustimmung zur Eindämmung weiterhin vorhanden. Unter diesen Bedingungen ist der Zeitpunkt für einen ehrlichen und transparent kommunizierten Strategiewechsel in der Bekämpfung der Coronapandemie gekommen. Jeder Tag, der vergeht, dehnt die Zeitspanne aus, in der die Menschen auf ein ganzheitliches und strategisches Pandemiemanagement angewiesen sind, das ermöglichen wird, die Schulen, die Kitas, die Wirtschaft und Betriebe, die Geschäfte und Restaurants sowie die Kultur-, Sport- und Tourismuseinrichtungen zügig, nachhaltig, planbar und dauerhaft zu öffnen. Wir können es uns als Gesellschaft in der aktuellen Lage nicht leisten, an einer als inadäquat entlarvten Pandemiebekämpfungsstrategie festzuhalten. Steigende Inzidenzen, immer mehr besorgniserregende Mutationen, der unabsehbar lange Zeitraum bis zur Durchimpfung und die allgemeine Pandemiemüdigkeit fordern eine Richtungsänderung. Wir müssen jetzt, auch aus Rücksicht auf die gesundheitliche, psychische und wirtschaftliche Belastung aller Beteiligten, nachhaltig in eine offene und positive Zukunft in Kiel und Schleswig-Holstein steuern. Eine Strategie, die ein Ende dieser Situation und schnelle Erfolge verspricht, stellt das Grüne-Zonen-Modell des US-Physikers Yaneer Bar-Yam (Cambridge, Massachusetts) dar. Eine deutsche interdisziplinäre Wissenschaftlergruppe, die sich unter dem Namen „No-COVID“ zusammengeschlossen hat, hat auf Basis dieser physikalisch-epidemiologischen Überlegungen und Berechnungen eine umfassende und an deutsche und europäische Verhältnisse angepasste Strategie des Pandemiemanagements erarbeitet. Die Gruppe wurde durch den Physiker Prof. Dr. Matthias Schneider (TU Dortmund) initiiert und schließt neben Medizinern auch Pädagogen, Soziologen und Ökonomen ein. Diese No-COVID-Strategie wird auch in der aktuellen COSMO-Studie von den Befragten gegenüber dem aktuell geltenden Stufenplan favorisiert: „Auch scheint NoCovid eine bessere Wirkung auf Motivation zu haben: Die Strategie sorgt für mehr Zuversicht, ihre Regeln werden als einfacher beurteilt und die Öffnungsstrategie ist für die Befragten klarer.“ Zu den Leitsätzen dieser Strategie gehören:
• Grüne Zonen: Landkreise, Gemeinden und kreisfreie Städte öffnen bei einer Risikoinzidenz unter 10 unter Aufrechterhaltung der Infektionsschutzmaßnahmen und bei Implementierung strategischer Testkonzepte. Nach und nach werden benachbarte Regionen nachziehen und auch zu Grünen Zonen werden. Geschäfte, Kitas, Schulen und Sport- und Kultureinrichtungen können dauerhaft öffnen und die Infektionsschutzmaßnahmen nach und nach reduziert werden.
• Risikoinzidenz: Die gedankliche Ausgangsbasis für Grüne Zonen bietet die Risikoinzidenz, die unter den bislang im Fokus stehenden Inzidenzzahlen liegt und daher zügiger zu erreichen ist. Sie spiegelt die Anzahl der Infektionen wider, deren Herkunft oder Kontakte nicht nachvollzogen werden kann. Eine niedrige Risikoinzidenz erleichtert die Kontrolle des Verbreitungsgeschehens durch die Gesundheitsämter und ist die Grundlage für effektives Ausbruchsmanagement.
• Gesundheit und Wirtschaft: Die zwei Kernziele der No-COVID-Strategie – der Gesundheits- und der Wirtschaftsschutz – widersprechen sich nicht. Der gemeinsame Feind einer funktionsfähigen Wirtschaft und der Gesundheit Einzelner ist die Gefahr einer Ansteckung mit dem Coronavirus. Sie dämmt das Konsum- und Freizeitverhalten erheblich (bis zu 80% des Rückgangs werden darauf zurückgeführt); die Möglichkeit weiterer Lockdowns steigert die wirtschaftliche Unsicherheit, wodurch wiederum die wirtschaftliche Aktivität gebremst wird. Eindämmungsmaßnahmen, sofern sie strategisch und ganzheitlich implementiert werden, helfen der Wirtschaft, Planbarkeit zu erlangen. Sie verhindern eine unkontrollierte Virusausbreitung und helfen damit der Gesundheit der Bevölkerung.
• TTI optimieren: Der Testing-Tracing-Isolation-Prozess muss sofort erheblich verkürzt werden, denn aktuell verlaufen zwischen der Infektion bzw. dem Auftreten von Symptomen bis zum Eintritt in die Quarantäne deutschlandweit zwischen 4,5 und 9 Tagen. An diesen Tagen bewegen sich unwissentlich infizierte Personen weiter und können wiederum weitere Kontaktpersonen anstecken. Jeder eingesparte Tag hilft, die Verbreitung des Virus zu unterbinden. Dazu gehört ein ganzheitliches Test-, Kontaktnachverfolgungs- und Quarantäneregime mit einer Kombination von Schnelltests, bei positiver Testung unmittelbar anschließender PCR-Validierung des Ergebnisses und sofortiger Selbstisolation ab dem Testzeitpunkt oder dem Auftreten minimaler Symptome.
• Digitale Vernetzung: Die SORMAS-Software muss in allen Gesundheitsämtern eingeführt werden. Ein ergänzender Einsatz von Kontaktdatenerfassungssystemen (Apps) sollte die Nachverfolgung der Kontakte in Restaurants, Geschäften, Hotels sowie Schulen und Universitäten unterstützen. Die Vernetzung zwischen diesen Mobilitätsräumen und den Gesundheitsämtern ist enorm wichtig. Dazu muss eine kollaborative, offene und gemeinsame Schnittstelle zu den Gesundheitsämtern geschaffen werden. Die Kontaktdaten aus den verschiedenen Erfassungslösungen können dann über eine einheitliche Schnittstelle zur Nachverfolgung an Systeme der Gesundheitsämter übermittelt werden.
• Schulen und Kitas – „Clusterverbinder“: Bildungs- und Betreuungseinrichtungen dürfen nur mit einem Testkonzept (ein sog. Eintrittsscreening bei Wiederaufnahme des Betriebs sowie regelmäßige, d. h. mindestens zwei Mal pro Woche stattfindende Testungen aller Schulangehörigen) sowie mit einen Infektionsschutzkonzept und mobilen Lüftungssystemen öffnen. In Kitas und Schulen verbinden sich zudem Familiencluster, die wiederum weitere soziale und berufliche Cluster haben. Über diese Orte können Viren also in weitere Kontaktnetzwerke weitergetragen werden. Um die Kinder selbst vor Erkrankungen und deren Langzeitfolgen (Long-Covid) zu schützen und Clusterverbindungen zu vermeiden, müssen Virusübertragungen in diesen Einrichtungen so gut wie möglich verhindert und das Infektionsgeschehen kontinuierlich überwacht werden. Auch Kinder in Kitas und Grundschulen könnten mit leicht zu handhabenden PCR-Pooltests (Gurgel- oder Lollimethode) getestet werden.
• Public Health Screening: Für den Übergang in das Grüne-Zonen-Modell ist ein Public Health Screening – eine im Idealfall zweimalige Durchtestung der gesamten Bevölkerung in der potentiellen Grünen Zone – notwendig, um einen Überblick über alle Fälle, insbesondere die unerkannten asymptomatischen, zu erhalten und das Infektionsgeschehen weiter einzudämmen.
• Mobilität zwischen Landkreisen: Die Mobilität von Bürgern findet erfahrungsgemäß zu 80% innerhalb eines Landkreises statt, nur 20% der üblichen Mobilität überschreitet dessen Grenzen. Von diesen 20% sind wiederum etwa 80% der Mobilität Fahrten mit einem fixen Endpunkt, z. B. dem Arbeitsplatz; die hier verbleibenden 20% bilden also eine kleine Anzahl von Menschen. Die Personen, die ihre Arbeitsplätze in anderen Landkreisen erreichen wollen, könnten beispielsweise am Arbeitsplatz getestet oder über die Arbeitgeber mit Selbsttests versorgt werden, sodass von ihrer Mobilität kein Infektionsrisiko ausgeht. Unter den übrigen 20%, die Landkreisgrenzen aus nicht-beruflichen Gründen überschreiten (entsprechen 4% der Bevölkerung eines Landkreises), befindet sich bei einer Inzidenz von 100 ein Anteil von 0,004% an Infizierten, d. h. eine verschwindend kleine Menge mobiler Personen, die das Pandemiegeschehen i.d.R. nur wenig beeinflussen.
• Landkreisgrenzen: Es erscheint vielen Bürgern unglaubwürdig, wenn eng verbundene Regionen und Lebenswelten, die in den Grenzregionen auch zwischen Bundesländern liegen, unterschiedlichen Regelsystemen unterliegen. Daher sind Regelsysteme pragmatisch an den faktischen Lebenswelten der Menschen entlang zu etablieren, z. B. durch Ballungsraumgesetze und Experimentierklauseln, die es den Gemeinden, Landkreisen und kreisfreien Städten auch unter dem Gesichtspunkt der verfassungsrechtlichen Subsidiarität erlauben, die ortsspezifischen Besonderheiten abzubilden und zügig Grüne Zonen zu errichten.
Ausführliche Informationen: www.nocovid-europe.eu
Für die Modellregion Nürnberg: http://nbg.nocovid-modellregion.de/
Begründungstext basiert auf dem Beschluss der Grünen vom KV Erzgebirge (Sachsen): Beschluss (gruene-erzgebirge.de)