Veranstaltung: | Kreismitgliederversammlung zum Kommunalwahlprogramm |
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Tagesordnungspunkt: | 2. Kommunalwahlprogramm (vollständige Übernahmen und vollständige modifizierte Übernahmen) |
Antragsteller*in: | KVo |
Status: | Übernahme |
Eingereicht: | 02.10.2022, 15:51 |
Antragshistorie: | Version 1 |
KWP59NEU: Kiel in neuen Strukturen denken: inklusive Quartiersentwicklung
Text
Die Stadt ist für die Menschen da. In Städten leben viele Menschen auf wenig
geografischer Fläche. Sie wohnen und arbeiten hier, sie leben hier, genießen die
kulturellen Angeboten und versorgen sich, gestalten Freizeit; ja, sie machen
Urlaub in der Stadt.
Allerdings ist die Stadt, insbesondere das Kiel von heute, noch immer geprägt
vom Mantra der autogerechten Stadt. Für die Einwohner*innen entwickeln sich erst
sehr langsam offene Räume. All diese Räume konkurrieren mit dem
“Parkplatzhunger” und dem durch das Auto geprägten motorisierten
Individualverkehr im Straßenraum. Uns ist bewusst, dass das Auto auch in Zukunft
eine wichtige Rolle spielen wird. Die jetzige Nutzung von Pkw ist jedoch höchst
ineffizient und der Platz in der Stadt zu wertvoll. Wir meinen deshalb, dass der
Mensch mit seinen Bedürfnissen nach Wohnen, Mobilität, Arbeiten und
Aufenthaltsqualität wieder mehr in den Mittelpunkt gerückt werden muss. Alle
Verkehrsmittel und Wegebeziehungen müssen zusammen gedacht werden und Wege
verkürzt werden, so dass alle Wege des täglichen Lebens in 15 Minuten zu
erreichen sind. Wir möchten eine Stadt, in der sich alle Menschen sicher und
wohl fühlen. Entsprechend müssen unsere Quartiere anders gedacht, das Wohnen und
Arbeiten organisiert werden. Mit dem Mensch im Mittelpunkt gewinnen alle in der
Stadt.
Im Zuge von Klimakrise und sozialen Verwerfungen müssen und wollen wir die Stadt
der Zukunft neu denken. Damit dies gelingt und alle Menschen mitgenommen werden
können, müssen wir die Strukturen der Stadt neu denken. Wir möchten die Stadt in
Quartieren denken. Quartiere sind für uns kleinere z.T. historisch gewachsene
Einheiten, die auch von den Menschen vor Ort als “ihr” Kiez, als “ihr” Quartier
wahrgenommen werden. Daher kann auch keine vorgefertigte Größe ein Quartier
fassen. Wir wollen unter Beteiligung aller Menschen ganz Kiel in Quartiere
einteilen und diese auch als Verwaltungseinheit verankern. Dazu braucht es einen
groß angelegten Beteiligungsprozess gemeinsam mit den Ortsbeiräten. Das Ganze
soll mit Quartiersfesten flankiert werden. Diese Quartierszentrierung soll auf
der einen Seite auf die Bedürfnisse der Bewohner*innen (barrierearm/frei,
altersgerecht, energieeffizient, nachbarschaftlich) besser eingehen können und
zum anderen die Identifikation und das Verantwortungsbewusstsein gegenüber dem
eigene Quartier erhöhen. Höhere Identifikation und Verantwortung steigert die
Beteiligung der Menschen, die Zufriedenheit und den sozialen Zusammenhalt und
reduziert Probleme wie z. B. Vandalismus und Vermüllung. Es müssen Konzepte
überlegt werden, wie weniger engagierte Nachbarschaften sich wirklich
beteiligen.
Jedes Quartier wird von einer*einem Quartiersmanager*in (früher: Kümmer*in)
betreut, die*der sich um die Sorgen und Nöte der Menschen vor Ort kümmern soll.
Zudem sollen sogenannte Quartiershäuser oder Community Centers entstehen, die
Anlaufstellen für Begegnungen, aber auch für Dienstleistungen wie Reparatur-
Werkstätten und Sharing-Dienste sein sollen. Hierbei können die bestehenden
Stadtteilbüros und Anlaufstellen Nachbarschaft integriert werden.
Die Quartiere der Zukunft dürfen nicht nur reine Wohnquartiere sein, sondern
Arbeits- und Lebensraum, damit das Leitbild der 15-Minuten-Stadt Wirklichkeit
werden kann. In der 15-Minuten-Stadt der Zukunft können alle wichtigen Orte wie
Arbeitsplätze, Co-Working-Spaces, Einkaufsmöglichkeiten, Kindergärten, Ärzte,
Ruheorte, Parkanlagen, Kultur- und Sportangebote innerhalb von 15 Minuten zu Fuß
oder mit dem Rad erreicht werden. Das heißt für uns auch, dass Wohnung in
Gewerbegebieten möglich sein müssen. Diese Dezentralität macht kurze Wege
möglich, bringt Lebensqualität und Sicherheit und verhindert Staus. Dadurch wird
in der Stadt nicht nur Verkehr verringert, sondern sie wird auch kinder- und
senior*innenfreundlich (siehe Kapitel Aufenthaltsqualität in den Quartieren für
Kinder und Jugendliche garantieren). Durch weniger Pkw-Verkehr können sich
Kinder sicherer zu Fuß und mit dem Rad fortbewegen und ältere Menschen bekommen
mehr Raum für Pausen und können einen Großteil ihrer Besorgungen im direkten
Umfeld erledigen. Auch Menschen in Care-Arbeit können so kürzere Wege
zurücklegen, was deren Alltag erleichtert. Gleichzeitig wird damit die lokale
Wirtschaft gestärkt. Die 15-Minuten-Stadt ist kein Projekt, das sich in wenigen
Jahren umsetzen lässt. Hier ist ein Umdenken in allen Bereichen der
Stadtverwaltung notwendig, um sukzessive Orte des Alltags zu dezentralisieren.
Bei jedem Neu- und Umbaubauprojekt muss in Zukunft die 15-Minuten-Stadt
mitgedacht werden.
Die Stadtplanung in den vergangenen Jahrzehnten hatte insbesondere Pendler*innen
im Blick, damit diese möglichst schnell von A nach B kommen. Dies hatte breite
Straßen zur Folge, um Autos eine möglichst fließende Fahrt mit hohen
Geschwindigkeiten zu ermöglichen. Dies hat sich in den vergangenen Jahren
bereits angefangen zu verändern. Trotzdem muss der Blick noch mehr auf die
Bedürfnisse der Bewohner*innen gerichtet werden und in das Zentrum der
Stadtplanung gerückt werden. Das bedeutet, dass zuallererst Wege für
Fußgänger*innen in einer integrierten Stadtplanung berücksichtigt werden müssen
und die soziale Funktion des Raums gefördert werden muss. Besonders während der
Coronapandemie wurde ersichtlich, wie wichtig ein lebenswertes Quartier mit
Aufenthaltsqualität und Freiräumen ist.
Beim Neubau von Quartieren möchten wir diese entsprechend autoarm planen. Dazu
soll ein Stellplatzschlüssel für Fahrradstellplätze eingeführt und die
Möglichkeiten, Pkw-Stellplätze zu reduzieren (bspw. durch Carsharing), aktiv
beworben und erweitert werden (bspw. durch eine SprottenFlotte-Station). Zudem
sollen Autos nicht mehr auf der Straße Platz wegnehmen, sondern in eigenen
Quartiersparkhäusern oder -tiefgaragen mit entsprechender Ladeinfrastruktur
platzeffizient parken können. Solche Parkhäuser sind essentiell für die E-
Mobilität, da nicht jeder heutige Parkplatz an der Straße mit einer Ladesäule
ausgestattet werden kann. Autoverkehr soll um die Quartiere geleitet werden, um
die Sicherheit und die Lebensqualität zu verbessern. Als Vorbild können die
sogenannten Superblocks in Barcelona dienen. Das alleine schafft Platz für
Aufenthalts- und Begegnungsräume, also Grünflächen, Plätze, öffentliche
Bücherschränke, Wickel- und Stillplätze, mehr öffentliche Toiletten,
Spielflächen (nicht nur Spielplätze), Bänke, Sportplätze, Kunst im öffentlichen
Raum, Fitnessgeräte oder Trinkwasserbrunnen. Fläche ist trotz alledem ein
knappes Gut. Dennoch muss bei Planungen immer ein Grünflächenfaktor mitgeplant
werden. Die vorhandene Fläche muss daher effizient genutzt werden. So dürfen
Schulhöfe nicht den halben Tag lang ungenutzt bleiben oder Dächer nur als Dach
genutzt werden. Wir wollen die Stadt nicht nur als Transitraum begreifen,
sondern als Ort, wo wir uns gerne aufhalten.
In einer zukunftsfähigen Quartiersentwicklung ist die Implementierung von
kulturellen Nutzungen unabdingbarer Bestandteil und sollte bei Planungsprozessen
frühzeitig miteinbezogen werden. Hier bieten sich zum Beispiel Erdgeschosszonen
an um die soziale und kulturelle Belebung zu fördern und dem Quartier jeweils
eine individuelle Identität zu geben.
Diese Quartiere müssen so geplant sein, dass man dort alt werden kann, also
barrierefrei und mit unterschiedlichen Wohneinheiten, so dass man je nach
Bedürfnissen in eine kleinere oder größere Wohnung im Quartier umziehen kann.
Dies zu organisieren, kann auch Aufgabe eines*einer Quartiersmanager*in sein.
Wir wollen, dass die Arbeit von Pflege- und Gesundheitsdiensten auf das Quartier
bezogen wird, um Menschen Hilfe anzubieten, wo sie wohnen (nach dem Bielefelder
Modell).
Zudem müssen diese Quartiere klimaneutral gebaut und bestehende zu
klimaneutralen Quartieren umgebaut werden (siehe Kapitel Bauen klimafreundlicher
gestalten). Das Quartier mit seinen begrenzten Akteur*innen ist als
Umsetzungsebene zwischen dem einzelnen Gebäude und dem Stadtviertel geeignet, im
Verbund von Gebäuden und Infrastrukturen gegenüber Einzelgebäuden
kostengünstigere, kosteneffiziente und innovative Maßnahmen für eine nachhaltige
Energieversorgung zu realisieren.
Dafür benötigt das bestehende Integrierte Stadtentwicklungskonzept eine
komplette Überarbeitung, um die Quartiersentwicklung in dem oben beschrieben
Sinne zu entwickeln.
Das MFG-5-Gelände bietet die Gelegenheit das hier Skizzierte umzusetzen, aber
auch auf Nachverdichtungspotentiale in der Innenstadt lässt sich unsere Vision
anwenden.
Im Zuge einer Neuschneidung von Ausschüssen und Dezernaten der Stadt möchten wir
prüfen, ob es sinnvoll ist, den Bauausschuss neu zuzuschneiden, um die
Quartiersentwicklung ganzheitlich zu betrachten.
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